Implikationen von künstlicher Intelligenz auf die Finanzmärkte

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Spätestens seit Veröffentlichung von ChatGPT, ein auf Basis neuronaler Netze entwickelter Textroboter, im November 2022 ist künstliche Intelligenz (KI) nicht nur an der Börse, sondern auch gesellschaftlich präsent. Grund genug für uns, unseren Mandanten mit diesem Artikel einen ersten Eindruck möglicher Einflüsse von KI auf die Finanzmärkte zu geben.

Aber womit haben wir es hier zu tun und was ist KI überhaupt? Von den vielfältigen Erläuterungen erscheint uns die folgende Definition als umfassend und zugleich ver­ständlich: „Künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähig­keiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren.“ [1] Die Im­plikationen dieser Technologie auf die Finanzmärkte wollen wir im Folgenden aus zwei verschiedenen Blickrichtungen betrachten. Zunächst widmen wir uns dem aktuellen Börsentrend KI, der das Kursgeschehen im Technologiesektor in diesem Jahr dominiert. Anschließend beschäftigen wir uns mit den bereits heute vorzufindenden Anwendungen von KI im Zusammenhang mit Finanzmarkttransaktionen und Handels­systemen.

Börsentrend künstliche Intelligenz

Dem einen oder anderen Anleger wurde mit Blick in sein Depot das enorme Potential und die Zuversicht der Marktteilnehmer für die richtungsweisende Technologie der KI in diesem Jahr sehr eindrucksvoll vor Augen geführt. Viele Branchentitel, allen voran die Aktien des führenden US-Herstellers von Grafikprozessoren Nvidia, der mit einer Börsenbewertung von derzeit ca. 1,08 Billionen USD zu den Schwergewichten im US-Aktienuniversum zählt, verdreifachten sich binnen weniger Monate im Kurs. Die Aktien von Meta Platforms (ehemals Facebook) verteuerten sich ebenfalls in den zurück­liegenden Monaten um ca. 180 %. Die Investoren konzentrieren sich dabei auf die heutigen Ideen und Konzepte der Konzerne in Bezug auf KI, die das künftige Umsatz­volumen stark prägen sollten. Nvidia als Hersteller von Hochleistungsgrafik­prozessoren bzw. der für KI benötigten Infrastruktur profitiert in Analogie zur Gold­gräberzeit des 19. Jahrhunderts als Ausrüster besonders stark von dem Boom. Mit Meta Platforms bekommen Anleger Einblick in die von KI geprägte digitale (Parallel-)Welt Metaverse und haben bereits eine Realisierung in nicht allzu ferner Zukunft vor Augen. Obwohl viele Fragen, auch in Bezug auf den künftigen Umgang mit KI, noch offen sind, sind Investoren sehr euphorisch und die Finanzmärkte preisen auf Grund­lage von Ideen und Innovationen (fiktive Digitalisierung) künftige Umsatz- und Gewinn­erwartungen bereits heute in die Aktienkurse ein. Die hingegen aktuell von Unter­nehmen eingesetzten Technologien zur digitalen Transformation (effektive Digita­lisierung) fußt auf Erkenntnissen, die ca. 15 Jahre zurückliegen.[2] Damit zeigt sich wahrscheinlich auch im Fall von KI, dass eine flächendeckende und unmittelbare Anwendung in der Realwirtschaft nicht zu erwarten und vielmehr von einem Trans­formationsprozess auszugehen ist. Auf dem Pfad hin zu einer unser aller Alltag durch­dringenden Technologie, die KI sicherlich darstellen kann, liegt somit noch ein wenig Wegstrecke vor uns. Diese zeitliche Diskrepanz macht auch den Bereich der KI-Aktien anfällig für spekulative Übertreibungen.[3] In der Vergangenheit gab es immer wieder, auch bei Schlüsseltechnologien, Kursübertreibungen, die zu einem anschließenden Platzen von Spekulationsblasen führten (z.B. das Platzen der Internetblase im Jahr 2000). Das Risikomanagement im Rahmen der Portfolioverwaltung wird künftig somit gerade bei Aktien mit KI-Bezug eine sehr entscheidende Rolle spielen.

Unmittelbare Einflussnahme von künstlicher Intelligenz auf Finanzmarkt­transaktionen

Neben diesen Implikationen auf Anlegerseite stellt sich ebenso die Frage nach dem unmittelbaren Einfluss von KI auf die Finanzmärkte. Die Möglichkeiten riesige Daten­mengen unterschiedlichster Art (Finanznachrichten, Finanzanalysen, Handelskurse, Social Media Einträge usw.) zu verarbeiten, auszuwerten und darauf basierend auto­matisierte Entscheidungsregeln zu erstellen/programmieren haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Dabei spielen auf Algorithmen basierende Handels­strategien von Vermögensverwaltern und Hedgefonds sowie die immer weiter ent­wickelten Handelssysteme der Banken bereits heute eine entscheidende Rolle. Zum Beispiel ermöglicht der Hochfrequenzhandel an den Börsen einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage binnen weniger Augenblicke und begünstigt eine effiziente Kursfindung an den Börsenplätzen. Damit schwinden auch die Möglichkeiten für Arbitrageure, größere Gewinne durch das Ausnutzen von Kursunterschieden zwischen einzelnen Börsenplätzen zu erzielen. Durch den zunehmenden Einsatz von KI lassen sich somit Effizienzgewinne auf verschiedenen Ebenen feststellen. Dabei ebnet gerade die Verbesserung von (Bewertungs-)Transparenz, auch in Bezug auf illiquide Anlageklassen[4], und Handelsgeschwindigkeit den Weg hin zu einem effizienten Kapitalmarkt, bei dem allen Anlegern zum gleichen Zeitpunkt alle kursrelevanten Informationen vorliegen.

Diesen wünschenswerten Effekten von KI stehen jedoch auch Risiken gegenüber, wenn insbesondere die Komplexität der Systeme zunimmt und sich diese nicht un­mittelbar in das bestehende Raster der Aufsicht integrieren lässt. Die BaFin (Bundes­anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) weist in diesem Zusammenhang bereits im Jahr 2018 in einer Studie auf die künftige Systemrelevanz von bestehenden und neuen Marktakteuren (z.B. Daten-, Plattform- und Algorithmenanbietern) im Zusammenhang mit Big Data und KI hin.[5] Inwieweit daran anknüpfend eine ungezügelte und kriminell motivierte Ausnutzung des Hochfrequenzhandels durchaus zur Destabilisierung der Finanzmärkte beitragen kann, zeigte sich bereits in jüngerer Vergangenheit. So kam es im Jahr 2010 binnen weniger Minuten zu einem bewusst ausgelösten Flash Crash bei dem US-amerikanischen Dow Jones.

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Den Vorteilen von Effizienzsteigerungen, größtmöglicher Transparenz und Zunahme von Handels-/Abwicklungsgeschwindigkeiten durch den Einsatz von KI, alles wichtige Attribute, die einen effizienten Kapitalmarkt beschreiben, stehen auf der anderen Seite somit nicht nur theoretische Risiken gegenüber. Insofern kommt es gerade aufsichts­rechtlich auf einen strikt regulierten Umgang mit KI an, was zwingend an die Techno­logie angepasste Kontrollprozesse bedingt.

Fazit

Festzuhalten bleibt, dass sowohl auf Investorenseite als auch an den Finanzmärkten selbst der Einfluss von KI Chancen und Vorteile bietet, gleichzeitig damit jedoch auch eine Zunahme von Risiken verbunden ist. Dem Risikomanagement auf Depotebene sowie die aufsichtsrechtliche Risikoidentifizierung und -prävention zur Vermeidung   systemischer Risiken kommt somit ein besonders hoher Stellenwert zu.

 

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[1] Vgl. Europäisches Parlament: Was ist künstliche Intelligenz und wie wird sie genutzt?, in: Aktuelles, Europäisches Parlament, 14. September 2020, https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20200827STO85804/was-ist-kunstliche-intelligenz-und-wie-wird-sie-genutzt (abgerufen am 20. September 2023)

[2] Vgl. Dr. Guido Zimmermann: Megatrend Künstliche Intelligenz: Eine Einordnung für Investoren, in: LBBW Kapitalmärkte Blickpunkt, Ausgabe 08.05.2023, S. 4-5

[3] Vgl. Dr. Guido Zimmermann: Megatrend Künstliche Intelligenz: Eine Einordnung für Investoren, in: LBBW Kapitalmärkte Blickpunkt, Ausgabe 08.05.2023, S. 5

[4] Vgl. BaFin: Big Data und künstliche Intelligenz: Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen, in: BaFin, Publikationen und Daten, 15. Juni 2018, BaFin – Publikationen & Daten – Studie: „Big Data trifft auf künstliche Intelligenz“ (abgerufen am 20.09.2023), S. 12

[5] Vgl. BaFin: Big Data und künstliche Intelligenz: Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen, in: BaFin, Publikationen und Daten, 15. Juni 2018, BaFin – Publikationen & Daten – Studie: „Big Data trifft auf künstliche Intelligenz“ (abgerufen am 20.09.2023), S. 13